Kein anderes Weinland Südamerikas ist so französisch geprägt wie Chile. Zwar kamen die ersten Reben mit den Spaniern, welche Mitte des 16. Jahrhunderts den Kontinent eroberten. Doch bereits 1830 schuf der französische Botaniker Claudio Gay in Santiago eine Versuchsrebschule. Sie sorgte dafür, dass das Land schon früh eine ansehliche Sammlung europäischer Edelreben besass.
Dies sollte sich als wahrer Glücksfall herausstellen. Ab den 1860er-Jahren zerstörte die Reblaus, ein aus Nordamerika eingeschleppter Schädling, 90 Prozent der europäischen Weinberge. Chile blieb nicht nur reblausfrei – und ist es bis heute –, das Andenland hatte auch genügend potenzielles Pflanzmaterial für seine aufstrebende Weinszene. Diese bekam weiteren Rückenwind durch weinkundige Einwanderer aus Frankreich, die sich dort eine neue Existenz aufbauten. Bald wurde es für reiche Chilenen zum Statussymbol, Weinland zu besitzen. Und ganz besonders chic war es, einen französischen Weinmacher zu haben.
Im 20. Jahrhundert wurde die chilenische Weinwirtschaft ziemlich gebeutelt. Lange hatten die Winzer vor allem für den einheimischen Markt produziert. Doch in den 1970er- und 1980er-Jahren kamen andere Getränke in Mode. Das Pinochet-Regime bremste zusätzlich die ökonomische Entwicklung. Erst 1989, nach dem Ende der Diktatur, nahm das Land wieder Fahrt auf – auch in Sachen Wein. Mehr als 10'000 Hektar internationale Rebsorten wurden gepflanzt, man investierte in Rebberge und Keller und schwenkte von Massenproduktion auf Qualitätsweine für die Exportmärkte um.
Chile liegt eingebettet zwischen Pazifik und Anden und hat unvorstellbare Ausmasse: Von Norden nach Süden misst das Land fast 4300 Kilometer. An der schmalsten Stelle hingegen ist es gerade mal 15 Kilometer breit. 80 Prozent der Fläche sind bergiger Natur, was die verfügbare Rebfläche stark einschränkt. Dafür aber bietet die schiere Ausdehnung eine Vielfalt an Terroirs. Insgesamt sind rund 130'000 Hektar mit Reben bestockt.
Die wichtigste Weinregion ist das Central Valley oder Valle Central. Es handelt sich um eine Ebene von 100 Kilometern Länge, im Westen begrenzt vom niedrigen Küstengebirge, der Cordillera de la Costa, und im Osten von den majestätischen Anden. Durchzogen wird es von zahlreichen Flüssen, die sich aus dem Schnee des Hochgebirges speisen – ideal für die Bewässerung der Rebberge. Im südlichen Teil des Central Valley liegt das berühmteste Anbaugebiet des Landes: Maipo. Dank seines mediterranen Klimas bringt es Rotweine auf Basis von Cabernet Sauvignon von grosser Güte hervor. Nicht umsonst trägt es den Spitznamen «Bordeaux von Südamerika». Auch Merlot und Chardonnay gedeihen gut – und natürlich die Vorzeigetraube Chiles, die Carmenère.
Ihre Geschichte ist voller Irrungen und Wirrungen. Einst zählte sie zu den Hauptsorten von Bordeaux, fiel dort aber oft derb und krautig aus. Nach der Reblauskatastrophe pflanzte man sie kaum noch an. Derweil hatte sie in Chile eine neue Heimat gefunden – allerdings unter falschem Namen. Was die Winzer für Merlot hielten, war in Wirklichkeit Carmenère. 1997 fiel der Irrtum auf, und seitdem erlebt die Traube einen regelrechten Boom. Kein Wunder: Im chilenischen Klima gerät sie samtig und weich mit feiner Eukalyptusnote.
Wer nach chilenischen Weissweinen sucht, findet im Anbaugebiet Casablanca Spitzenqualität. Die Region ist mehr als andere vom kalten Humboldt-Strom im nahen Pazifik geprägt. Das Resultat ist duftiger Sauvignon blanc; auch die Burgundersorten Chardonnay und Pinot noir zeigen sich dort von ihrer besten Seite. Im Auge behalten sollte man den äussersten Süden des Landes. Vor allem das Weingebiet Itata gewinnt derzeit an Profil. Geheimtipps hier: die rote Sorte Cinsault und der weisse Moscatel.
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