Zwei Männer sind an der OlivenernteZwei Männer sind an der Olivenernte

Delikatessen


«Die Erzeugung von Olivenöl gehört in der Toskana zu einem Weingut wie das Latein zur klassischen Schulbildung», sagt Rudi Bindella. Die Pflege der Olivenbäume ist aufwendig, die Ernte anstrengend. Darum ist ein gutes Öl auch nie ganz günstig. Visite auf Bindellas Tenuta Vallocaia, wo noch von Hand gelesen wird.

Aldo streicht sich mit dem Handrücken über das Gesicht und blinzelt in die Morgensonne. Ein Traumtag Ende Oktober. Der Morgen ist noch frisch, doch auf seiner sonnengegerbten Stirn glitzern Schweissperlen. Oliven ernten ist anstrengend! Widerspenstig hängen die Früchte an den Zweigen, geschützt von dichtem Blätterwerk. «Früher hat man die Bäume und Äste allein mit Muskelkraft geschüttelt. Heute helfen uns elektrische Rechen», sagt Aldo. Die sehen aus wie lange dünne Finger, die sich in Sekundenschnelle bewegen. Und damit kämmt man die Bäume. Am Boden sind engmaschige grüne Netze ausgelegt, die die wertvolle Ernte auffangen. Aldo kniet sich mit zwei Plastikkisten zu seiner Kollegin Patrizia hin, und zusammen füllen sie die Oliven von Hand in die Kisten. Die einen Früchte sind knallig grün, die anderen tendieren ins Violette oder sind gar noch dunkler. «Abgesehen von einigen wenigen Sorten, deren Früchte grün bleiben, werden alle Oliven schwarz. Der optimale Erntezeitpunkt, also dann, wenn das beste Öl gewonnen wird, variiert jedoch von Sorte zu Sorte», erklärt Patrizia. Sie und Aldo gehören auf Bindellas Tenuta Vallocaia «schon fast zum Inventar», sagt Patrizia und lacht. Beide arbeiten seit Jahren zusammen: im Olivenhain, im Weinberg, im Keller, bei brütender Hitze, bei klammer Kälte. «Die Arbeit ist hart – aber auch sehr schön, besonders wenn Ernte ist», sagt Aldo. Patrizia ruft dazwischen: «Und man weiss am Abend definitiv, was man gemacht hat!» Die Erntetruppe lacht schallend.

Zwei Mitarbeiter der Tenuta Vallocaia sortieren OlivenZwei Mitarbeiter der Tenuta Vallocaia sortieren Oliven

Patrizia und Aldo arbeiten schon seit Jahren auf Vallocaia. Den Olivenhain kennen sie in- und auswendig.


«Ciao, ragazzi, wie kommt ihr voran?» Giovanni Capuano hat seinen Jeep unter einem knorrigen Olivenbaum geparkt und stampft mit grossen Schritten durch den Hain. Er ist der Gutsdirektor der Tenuta Vallocaia. «Die frischen Früchte sollten möglichst schnell in die Ölmühle. Durch die Schläge beim Pflücken werden die Oliven immer ein bisschen angequetscht », erklärt er. Bei verletzten Früchten setzen Oxidationsprozesse ein, die die Qualität des späteren Öls stark beeinträchtigen, insbesondere wenn die Oliven warm gelagert werden. «Aus diesem Grund sollte das Pressen innerhalb von 24 Stunden nach der Ernte erfolgen.» Die Mühle, wo die Vallocaia- Oliven zu Öl gepresst werden, ist als Kooperative organisiert und liegt in Cetona. Von Montepulciano sind es mit dem Kleintransporter etwa 30 Minuten. Darum beginnt die Olivenlese auch am frühen Morgen, wenn es noch kühl ist – und trocken. Durch die Ernte bilden sich Mikrowunden an den Ästen, und wenn die Bäume nass sind, besteht die Gefahr, dass sie sich mit «rogna» infizieren, das ist ein Bakterium, das die befallenen Zweige austrocknet.


Amphoren in denen einst Wein vergoren wurdeAmphoren in denen einst Wein vergoren wurde

Ins Netz gegangen: Die Olivenausbeute kann von Jahr zu Jahr stark variieren.


Ernte nur alle zwei Jahre

Auf dem Bindella-Weingut in der Toskana stehen nebst Reben auch 4000 Olivenbäume – unzertrennlich im Sinne der bewährten Mischkultur. Der Lebenszyklus der Olivenpflanze kann mehrere Tausend Jahre dauern. Ein Baum in Mittelitalien produziert durchschnittlich 10 bis 30 Kilogramm Oliven. In Süditalien, wo die Pflanzen dank der Wärme schneller wachsen und dadurch viel grösser sind, ist die Olivenausbeute entsprechend grösser. «Auf Vallocaia produzieren wir durchschnittlich einen Liter Öl pro Pflanze und Jahr», sagt Giovanni Capuano. Doch Olivenbäume haben ihren eigenen Rhythmus. Die Zweige tragen nur alle zwei Jahre richtig Früchte – und somit gibt es auch nicht alle Jahre eine grosse Ernte. «Das Phänomen lässt sich durch Beschneiden minimieren, aber der Trend bleibt bestehen. 2021 war ein Jahr mit wenig Oliven. 2022 wurden wir verwöhnt: Qualität und Menge der Oliven fielen sehr gut aus!»

Doch wie weiss man, wann die Früchte reif sind, wenn sie mal grün und mal schwarz sind? «Auf Vallocaia gibt es drei verschiedene Sorten: Leccino, Frantoio und Moraiolo. Leccino reift früh, die Oliven werden auf 


einmal und schnell schwarz. Der optimale Erntezeitpunkt ist, wenn die Haut schwarz und das Fruchtfleisch noch grün ist», erklärt Giovanni. Anders Frantoio, wo die Oliven bei perfekter Reife nur mittel gefärbt sein sollten. Auch die Moraiolo-Oliven, die ganz plötzlich von Grün auf Schwarz wechseln, sollten bei der Ernte noch nicht ganz dunkel sein. Unabhängig von der Sorte gebe es zwei Indizien für die Reife. Erstens: Die Oliven lösen sich leicht genug von den Zweigen. Und zweitens: Das Öl hat sich in den Oliven angesammelt. «Zu Beginn der Reifung beträgt der Ölgehalt etwa 12 bis 13 Prozent. Im Laufe der Wochen steigt der Anteil auf 16 bis 20 Prozent. In Wirklichkeit ist der Anstieg des Ölanteils jedoch hauptsächlich auf die Dehydrierung, also den Verlust von Wasser, zurückzuführen.»

Und wie beim Wein ist auch Olivenöl oftmals eine Cuvée aus verschiedenen Sorten – jede mit eigenem Charakter. «Die Leccino-Olive ist weitverbreitet. Ihr Öl: mild und fruchtig. Auch die Sorte Frantoio ist in ganz Italien zu Hause und ergibt ein fruchtiges Öl mit pikant-bitterer Note. Und Moraiolo schmeckt sehr kräftig und gehaltvoll.»


Amphoren in denen einst Wein vergoren wurdeAmphoren in denen einst Wein vergoren wurde

Ab in die Wäsche: So werden die Früchte von Erdresten befreit.



Giftgrün und kalt gepresst

Aldo, Patrizia und ihre Kollegen haben inzwischen zwei Kleintransporter mit den vollen Kisten beladen und fahren Richtung Mühle. Wir folgen ihnen in Giovannis Jeep, und er erklärt schon mal, wie aus den Früchten Öl wird. «Oliven werden ganz langsam gepresst, damit sich die Masse nicht über 30 Grad erwärmt und die gesunden Inhaltsstoffe nicht verloren gehen. Danach wird das Öl mit mechanischer Zentrifugalkraft vom Wasseranteil befreit.»

In der Mühle erwartet uns ein Überraschungsgast: Rudi Bindella. «Das ist auch für mich ein ganz spezieller Moment», sagt der Patron aus Zürich und greift mit den Händen in den glänzenden Berg erntefrischer Oliven. 


Reben in den Ausgrabungsstätten von PompejiReben in den Ausgrabungsstätten von Pompeji

Inspizieren das grüne Gold: Vallocaia-Gutsleiter Giovanni Capuano, Ölmüller Alessandro Torroni und Rudi Bindella (v. l.).


Reben in den Ausgrabungsstätten von PompejiReben in den Ausgrabungsstätten von Pompeji

Das Öl läuft trüb aus dem Dekanter, doch nach ein paar Tagen Ruhe wird es von ganz allein klar.


«Die kommen jetzt in den ‹Blower›, wo Blätter und Zweige entfernt werden. Danach folgt die ‹Waschmaschine›, um die Erdreste zu entfernen », erklärt Giovanni. Der «Crusher», eine Art Mixer, zermalmt die Oliven inklusive Steine in eine dicke beige Paste, die danach im «Gramulator» wie ein Teig geknetet wird – unter niedriger Temperatur, maximal 27 Grad. Dieser Vorgang dauert 10 bis 15 Minuten und dient dazu, die Verbindung der Öltröpfchen zu fördern, die während des Zerkleinerungsprozesses freigesetzt wurden. «Und jetzt kommt der magische Moment», sagt Rudi Bindella, und seine Augen leuchten wie Kinderaugen kurz vor der Bescherung. Der Olivenbrei durchläuft den sogenannten Zentrifugalseparator (Giovanni Capuano mag’s technisch!) und trennt das Öl vom nassen Trester. Aus dem Dekanter läuft ein trüber, giftgrüner Saft. «Dieses erste Öl ist nie rein, sondern enthält immer eine kleine Menge Wasser, weshalb wir das Öl erneut zentrifugieren.» Auch dieses Öl ist trüb. Nach ein paar Tagen Ruhe wird es ganz von allein klar und durchsichtig.


Bewährt seit der Antike

Die höchste Güte in Sachen Olivenöl ist «extra vergine». Das Label garantiert, dass das Öl schonend kalt gepresst wurde und qualitativ einwandfrei ist. Ein weiterer Anhaltspunkt für Qualität ist der Preis: Gutes Olivenöl ist teuer, denn die Produktion ist arbeitsintensiv. Doch warum dieser ganze Aufwand für ein paar Liter Olivenöl? Die Frage geht an Rudi Bindella: «Der Olivenbaum mit seinen Früchten strahlt eine sakrale Anmut aus. Er verleiht der Landschaft eine besondere, sanfte, leuchtende Schönheit. Und das Olivenöl dient seit der Antike vielfältigen Nutzungen – zum Einfach-so-Geniessen, als Würzmittel, zur Konservierung von Lebensmitteln, als Kosmetika und Heilmittel … Kurz: Wir bewältigen den Aufwand des Olivenanbaus gern. Wir werden belohnt mit einem vorzüglichen, köstlichen, gesunden Olivenöl, das wir unseren Gästen gerne und stolz auf den Tisch stellen.» Und sensorisch? «Gutes Olivenöl ist bitter und ein bisschen pikant », sagt Giovanni, «und nie ganz günstig. » Grünes Gold eben.

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