Alberto Tasca
Frische Artischocken, Berge von Fenchelgrün, ganze Fische auf Eis. Wir befinden uns inmitten der bunten Fülle des zentral gelegenen Mercato del Capo. «Wir wissen, wie man das Leben geniesst», sagt Alberto Tasca und bringt damit die Seele der Sizilianer ziemlich genau auf den Punkt. Sein nächster Satz geht im Geschrei der Marktverkäufer unter, die lautstark die Vorzüge ihrer Waren anpreisen. Alberto Tasca schmunzelt und führt uns in eine ruhigere Ecke des Mercato, wo wir den Duft von Gewürzen – Zimt, Safran, Nelken – einatmen und fasziniert vom bunten Treiben innehalten. Obwohl der Kopf der sizilianischen Weindynastie Tasca leger gekleidet ist, merkt man schon allein an seinem Auftreten und der Umsicht für seine Gäste, dass er ein Gentleman der alten Schule ist. Seine Familie, das Adelsgeschlecht Tasca d’Almerita, gehört zu den Pionieren des sizilianischen Qualitätsweinbaus, Alberto repräsentiert die neunte Generation. Obwohl oder gerade weil Tasca viel Zeit seines Lebens auf Reisen in diversen Luxushotels verbringt, schätzt der Weinmacher die einfachen Genüsse seiner Heimat. «Wir Einwohner von Palermo lieben unsere Märkte. Akribisch suchen wir die beste Qualität und feilschen leidenschaftlich um den Preis.» Man trifft Freunde und Bekannte und garniert den Tratsch mit traditionellem Streetfood oder Säften. Ein Klassiker ist der leuchtend rote Granatapfelsaft, der an jeder Ecke frisch gepresst wird. «Er schmeckt nicht nur wunderbar, er ist auch noch äusserst gesund.» Und er ist Teil des arabischen Erbes, das uns von nun an immer wieder begegnen wird …
Palermo ist die Stadt der Märkte; Supermärkte sind für Einheimische nur Notlösungen. Der lebendige Mercato del Capo liegt zentral und ist eine perfekte Quelle für authentisches Streetfood.
Via Cappuccinelle,
Palermo
Das grösste Opernhaus von Italien:
Teatro Massimo.
Gleich neben dem Markt liegt das eindrucksvolle Teatro Massimo – das grösste Opernhaus von Italien und nach Paris und Wien Nummer drei in Europa. Alberto Tasca gerät vor dem Jugendstiljuwel ins Schwärmen: «Es ist für mich immer wieder bewegend, eine Oper in diesem Haus zu sehen. Ich glaube, ich war schon Hunderte Male hier, aber jedes Mal, wenn ich die Treppe hochsteige und mich im prächtigen goldenen Saal befinde, der mit leuchtend rotem Samt ausstaffiert ist, habe ich ein Gefühl, das schwer zu beschreiben ist.»
Zeit für einen Caffè. Für die kleinen Freuden des Alltags nimmt sich Alberto Tasca trotz straffen Terminkalenders immer Zeit. Er führt uns zu einem seiner Lieblingsplätze für sizilianisches Frühstück oder einen Caffè al banco, also im Stehen: Das Ideal Caffè Stagnitta beherbergt die älteste Kaffeerösterei der Stadt und ist berühmt für seine wunderbaren Cannoli. Das sind knusprige Teigröllchen, die mit Frischkäse gefüllt und mit kandierten Früchten oder Krokant garniert werden. Und auch sie gehen auf die Zeit der arabischen Herrschaft zurück. «Der Ricotta wird erst unmittelbar vor dem Verzehr in die Röllchen gefüllt, so bleiben sie schön knusprig», erklärt Alberto Tasca. Die beste Adresse für Cannoli sei aber Santa Caterina, eine prachtvolle Kirche im Herzen von Palermo. Im ehemaligen Kloster mit angeschlossener Konditorei wird nach den alten Rezepturen der Nonnen gebacken. «Der Klosterbetrieb wurde erst vor kurzem aufgegeben und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, selbst viele Sizilianer kennen ihn nur von aussen.» Auch Alberto Tasca hat diesen faszinierenden Platz erst vor kurzem entdeckt – ein Ort von historischer Schwere. Der Konvent aus dem zwölften Jahrhundert beherbergte stets Nonnen, die zum grossen Teil aus den wohlhabendsten Familien von Palermo stammten. Mit Beklemmung nehmen wir die Relikte der harten Lebensumstände der Nonnen wahr: Alle Bereiche, in denen sie sich bewegen durften, sind vergittert, und die einzigen Öffnungen zur Aussenwelt waren ein Gitterfenster und ein Drehrad, über das Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs in das Kloster gebracht wurden. Tasca deutet auf das unscheinbare Portal und verrät uns mit gesenkter Stimme die geheime Funktion, die es auch ausübte: Ungewollte und heimlich zur Welt gebrachte Säuglinge wurden über diese Öffnung im Kloster abgegeben.
Dieser beliebte Treffpunkt beherbergt die älteste Kaffeerösterei Palermos und hält die lokale Kaffeekultur hoch. Locals kommen aber auch wegen der Dolci und erfrischenden Drinks.
Discesa dei Giudici 42,
Palermo
idealcaffe.it
Das ehemalige Kloster mit wunderschöner Barockkirche ist erst seit kurzem für die Öffentlichkeit zugänglich. In der angeschlossenen Konditorei gibt es herrliche Süssigkeiten nach Originalrezept der Nonnen.
Via Piazza Bellini,
Palermo
Palermo verfügt über eine Vielzahl an eindrucksvollen Kirchen. Für Alberto Tasca die schönste ist Santa Maria dell’Ammiraglio, auch La Martorana genannt. «Das Gotteshaus ist für mich ein wunderbares Beispiel für die verschiedenen Kulturen, die Palermo prägten und sich zu einem ganz eigenen Kunst- und Architekturstil vereinten. Die arabische Ornamentik ist in der Kirche besonders schön erhalten.» Bedächtig und respektvoll führt uns Alberto Tasca durch die heiligen Gewölbe, die im Laufe der Jahrhunderte mehrfach renoviert und umgebaut wurden. Heute präsentieren sie sich als interreligiöses Unikat, das aus prächtigen christlichen Darstellungen mit farbenfrohen Barockfresken ebenso wie aus Koranzitaten und höchster Handwerkskunst aus dem Morgen- sowie dem Abendland besteht. Das Nebeneinander der Kulturen und Religionen war in Palermo so tief verankert, dass Beschriftungen und Strassennamen ganz selbstverständlich in drei oder vier verschiedenen Sprachen und Schriften erstellt wurden und so bis heute erhalten geblieben sind. Sogar bei der Angabe der Jahreszahlen bezog man sich schon vor tausend Jahren auf die unterschiedlichen Zeitrechnungen der Kulturen. Besonders eindrucksvoll erlebbar ist der multikulturelle Aspekt in der prunkvollen Cappella Palatina, der funkelnden und opulenten Kapelle im Palast von Palermo.
Hier verschmelzen Morgen- und Abendland:
Santa Maria dell’Ammiraglio.
Apropos Palast. Nächster Halt ist Alberto Tascas Elternhaus: die Villa Tasca. Wobei der Begriff Villa dem 20 Hektar grossen Anwesen nicht annähernd gerecht wird. Wir stehen staunend in einem verwunschenen Garten mit jahrhundertealten Bäumen, üppigen Blumen, Palmen, Zitrusfrüchten. Der Lärm der Stadt ist weit weg. Ein magischer Ort, auch für Alberto Tasca. «Ich lebte hier, bis ich mit 15 Jahren in die Deutschschweiz ins Internat ging. Mit 19 kam ich dann zurück nach Palermo. Und meine Eltern wohnen noch heute hier. Wenn ich nicht auf Reisen bin, dann besuche ich sie mindestens einmal pro Woche zum Essen.» Die Geschichte der Villa Tasca beginnt vor 500 Jahren, als Louiso di Bologna, Baron von Montefalco, den prächtigen Palast bauen lässt. Viele Jahrzehnte und Besitzerwechsel später wird das Anwesen zum Anziehungspunkt der High Society: Königin Margherita von Savoyen, Otto von Bismarck, Jacky Kennedy. «Auch den grossen Komponisten schien es hier ganz ausgezeichnet zu gefallen. Verdi, Paganini, Rubinstein waren hier. Und Wagner komponierte in Palermo sogar den dritten Akt von ‹Parsifal›.» Die Innenräume der Villa sind mit Fresken aus dem 18. Jahrhundert und Majolikas geschmückt. «Majolikas, das sind die farbigen, handbemalten Keramikplatten, die so typisch sind für Sizilien», erklärt Alberto Tasca. Ein selbstverständliches Nebeneinander der Kulturen – auch hier. «Eines der interessantesten Merkmale der Villen in Palermo aus dem 19. Jahrhundert ist der Eklektizismus in der Gartengestaltung. » Damals nämlich begannen die wohlhabenden Familien, ihre Grundstücke zu reinen Zierzwecken zu bepflanzen – und nicht wie früher als Nahrungsgrundlage. «Während in England die Gardenesque eine Reaktion auf die Picturesque war und eine heisse Debatte auslöste, ergänzten sich in Palermo und vor allem in der Villa Tasca die beiden Landschaftsästhetiken perfekt.»
Die Privatresidenz der Conti Tasca wird bis heute von der Familie bewohnt. Auf Anfrage und mit dem nötigen Kleingeld kann man einen Teil der Villa (vier bezaubernde Suiten, privater Garten, Swimmingpool) exklusiv mieten (hier anfragen: info@villatasca. com). Für alle anderen: Der Garten ist auch für die Öffentlichkeit beziehungsweise Tagestouristen zugänglich. Warum also nicht eine kleine Pause einlegen und dazu ein schönes Glas Wein aus den Rebgärten der Gastgeberfamilie Tasca geniessen?
Viale Regione Siciliana 397,
Palermo
villatasca.com
Typisch Palermo: Via Orologio
Nach so viel Geschichte ist es Zeit für eine Rückkehr in die Gegenwart. Mit sichtlicher Freude führt uns Alberto Tasca durch die pittoresken Gassen Via Orologio und Via Bara All’Olivella, wo wir tief, tief in das pulsierende Leben von Palermo eintauchen. Ein Lokal liegt neben dem anderen, über den Gastgärten schweben Wolken aus fröhlichem Stimmengewirr, und zahlreiche Läden locken mit lokalem Handwerk und feinen Delikatessen. Inspiriert von diesen Verlockungen ist der Hunger gross, und unser persönlicher Guide zeigt uns eines seiner Lieblingslokale, die Antica Focacceria San Francesco. Mittlerweile auch von vielen Touristen entdeckt, ist es dennoch ein Hort typisch sizilianischer Strassenküche. «Ich glaube nicht, dass es in Italien eine andere Stadt gibt, in der diese Tradition so weit verbreitet, lebendig, farbenfroh und authentisch ist wie in Palermo», sagt Tasca und bittet uns ins gut besuchte Lokal, das sich in einer ehemaligen Kapelle eines Palastes befindet. Mitten im Raum ein befeuerter Kessel, in dem die Spezialität des Hauses blubbernd vor sich hin schmort: feine Milzstreifen in würzigem Sud. Sie werden in einem Brötchen serviert und Pani câ meusa genannt. Der palermischen Seele ist man mit dieser Stärkung schon sehr nahe. Um sie noch profunder zu erfassen, zeigt uns Tasca eine versteckte Kleinkunstbühne, die er mit tiefer Verbundenheit verehrt.
Antica Focacceria San Francesco
Spezialität des Hauses: Milzstreifen in würzigem Sud
Ein wunderbarer Ort in einer ehemaligen Kapelle eines historischen Palastes. Traditionelle palermische Gerichte werden auf mehreren Etagen oder, noch besser, auf der pittoresken Piazza serviert..
Via Alessandro Paternostro 58,
Palermo
anticafocacceria.it
Es dunkelt bereits ein, als wir zum historischen Kalsa-Viertel spazieren, in dem das Teatro Ditirammu liegt. Die Betreiber des Theaters pflegen liebevoll die altüberlieferten Kunstformen Siziliens, Gesänge oder Volksmusik etwa. Sie halten historische Marionetten in Schuss und bewerben ihre Aufführungen mit selbst gemalten Plakaten. «Mir bedeutet dieser Ort sehr viel. Vito Parrinello, der verstorbene Gründer und grossherzige Freund von mir, war für mich der Botschafter des schönsten und gesündesten Palermos», erzählt Alberto Tasca mit einem besonderen Glanz in den Augen. Für ihn ist das Ditirammu viel mehr als bloss ein Theater, es ist für ihn ein Ort der kulturellen Vielfalt und des Austauschs. «Sizilien ist offen», sagt Tasca mit grosser Geste und unterstreicht, dass die historische Tradition des harmonischen Miteinanders der Kulturen in Palermo weitergeführt wird. Kurz wird er ernst und berichtet von einer grossen Zahl an Flüchtlingen, die regelmässig in Sizilien stranden. «Von den meisten Bewohnern werden sie als schützenswerte Opfer und nicht als Belastung oder Bedrohung gesehen», sagt der Winzer. Diese Offenheit prägt auch den Spirit des Teatro Ditirammu, einem Ort der Begegnung, in dem man sich sofort willkommen fühlt …
Diese Kleinkunstbühne ist ein echter Geheimtipp, in der man sich der musischen Seele Palermos annähern kann. Neben überlieferten und zeitgenössischen Musikstücken wird authentisches Marionettentheater gespielt.
Via Torremuzza 6,
Palermo
teatroditirammu.it
Alberto Tasca im Teatro Ditirammu:
«Mir bedeutet dieser Ort sehr viel.»
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