«Treffen wir uns an der Piazzetta Lunelli. Danach fahren wir zur Villa Margon hoch. Meine Kollegin Anna holt dich ab, halte Ausschau nach einem weissen Fiat 500 mit Ferrari-Schriftzug.» Soweit die Anweisungen von Camilla Lunelli per E-Mail. Und als dann Anna in ihrem Auto anbraust und uns wild gestikulierend und schwatzend durch den Morgenverkehr der Stadt kurvt (die ItalienerInnen haben dafür ein wunderbares Wort: chiacchierare – plaudern), hoch hinauf zur ehemaligen Sommerfrische der Familie Lunelli, wird uns erstmals bewusst, was die Familie für Trento wohl bedeuten muss. Was Camilla, die schon auf dem Kiesplatz im Hof wartet, natürlich sogleich dementiert. Sie ist die Bescheidenheit in Person.
Die Villa Margon stammt aus dem 16. Jahrhundert und gilt als eine der prachtvollsten Renaissance-Villen der ganzen Region. Sie liegt etwas ausserhalb der Stadt, oberhalb der Gemeinde Ravina. Baron Salvadori schenkte sie den Lunellis, als sie die Weinberge rund um die Villa kauften. «Ich habe diesen Ort schon immer geliebt», sagt Camilla Lunelli, und es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Das Anwesen liegt inmitten dichten Grüns, umgeben von Wald und Reben, und hinter dem Haus erhebt sich der schroffe Fels, der so typisch ist fürs Trentino, gegen den Himmel. Als ihre Kinder klein waren, wohnte Camilla Lunelli mit ihrer Familie jeweils von Mai bis Oktober auf Margon. «Natur, so viel man will, man kann Rehe sehen und Vögel. Meine Kinder sind hier frei und ein bisschen wild aufgewachsen. Aber es ist auch ein abgelegener Ort, es gibt beispielsweise keinen Bus. Spätestens mit Teenagern ein gewichtiger Nachteil.» Camilla lacht.
Die Villa Margon war in den Jahren des Konzils von Trient (1545 – 1563) Herberge für Kardinäle, Bischöfe und sogar Kaiser. Fresken und Gemälde zeugen etwa von den Triumphen von Kaiser Karl V. «In diesem Gebäude befinden sich 500 Jahre Geschichte», sagt Camilla Lunelli und deutet auf die verblassten Zeichnungen an der Fassade. «Die Fresken im Aussenbereich wurden zweimal restauriert. Im Inneren jedoch ist die Villa so, wie sie schon immer war.» Wir treten ein, die Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, aber dann: wow! «Die Villa wurde immer nur im Sommer genutzt, ohne Heizung, deshalb sind die Farben – Rot, Gelb, Blau – bis heute in so perfektem Zustand.» Für das Blau etwa wurde kostbarer Lapislazuli verwendet, die Farbe galt als Symbol für das Leben und das Göttliche.
Aufgewachsen ist Camilla Lunelli in Trento. Von 19 bis 29, also zehn Jahre lang, lebte sie im Ausland, war drei Jahre für die Uno in Afrika tätig, und sie hofft, ihre Kinder werden es ihr später gleichtun. «Grosse Städte, andere Zusammenhänge, das erweitert den Horizont. Aber ich bin sehr glücklich, dass ich nach Trento zurückgekehrt bin.» In der Stadt leben 100 000 EinwohnerInnen, in der ganzen Provinz eine halbe Million. «Verglichen mit Rom sind das winzige Dimensionen, aber wir haben einige spannende Forschungszentren und alle wichtigen Fakultäten in der Stadt: Physik, Ingenieurwesen, seit drei Jahren sogar Medizin. Das hat eine Menge junger Leute nach Trento gebracht.» Die Lebensqualität sei hoch, insbesondere für Italien. Und das sage nicht sie, sondern die Statistiken. «Ich habe heute Morgen in der Zeitung etwas zur Kriminalität gelesen. Trento war die Nummer 100 von 106 Provinzen. Es ist bei uns also ziemlich sicher.»
Ziemlich sicher ist auch Lunellis Position im Markt. Ihr Schaumweinhaus Ferrari ist die Numero uno in Italien, von den zwölf Millionen Flaschen Spumante, die in der Appellation Trentodoc pro Jahr produziert werden, keltert Ferrari etwa 60 Prozent. 2018 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 100 Millionen Euro, 2022 verzeichnete die Lunelli-Gruppe, die nebst Edelspumante auch Stillwein keltert, ein zweistelliges Wachstum. Ferrari sponsert glamouröse Galas wie die Oscars und Grammys und die Formel-1-Piloten stossen auf dem Podest seit 2021 mit Trentodoc-Spumante an. Kurz: Die Familie Lunelli hat einen gewichtigen Beitrag dazu geleistet, dass das Trentino zu einer der führenden Schaumweinregionen Italiens aufgestiegen ist.
Egal, wo man in Trento steht, in jeder Strassenflucht erheben sich am Ende die imposanten Berge. «Wo sonst kann man am Samstag auf dem Gardasee surfen und am Sonntag in den Dolomiten klettern gehen?» Camilla Lunelli ist sehr naturverbunden, liebt es, draussen zu sein. «Gutes Essen und schöner Wein sind wunderbar, aber es ist schon gut, sich auch ein bisschen zu bewegen.» Also steigen wir – wieder unten in der Stadt – zu Fuss zum Castello del Buonconsiglio hoch. Das Schloss war vom 12. bis zum 18. Jahrhundert Sitz der Fürstbischöfe, die grösste und wichtigste Burganlage von ganz Trentino-Südtirol, und beherbergt heute eine Archäologie- und Kunstsammlung. «Vor allem aber hat man von hier oben den schönsten Weitblick!» Wir stehen in der imposanten Loggia, gotisch-venezianische Spitzbögen, die Herbst- sonne wirft sanfte Schatten, und zu unseren Füssen liegt die Stadt. «Schau, da oben waren wir eben», sagt Camilla und deutet auf den bewaldeten Berg auf der anderen Talseite – wo auch das firmeneigene Spitzenrestaurant der Lunellis liegt, die Locanda Margon.
Der junge Chefkoch Edoardo Fumagalli hat sich bereits einen Michelin-Stern erkocht. Seine Philosophie: radikal lokal und die Kreationen so, dass sie mit den Ferrari-Schaumweinen harmonieren. «Wenn ich nicht in der Locanda Margon esse, was ich häufig und gerne tue, dann treffe ich mich in der Osteria Il Capello zum Lunch. Und dort werden wir jetzt gleich einen Happen essen.»
Das Lokal ist laut Guide Michelin einer der führenden Namen in der Gastroszene der Stadt. Die Küche zuverlässig und saisonal, traditionell italienisch, aber mit modernem Touch. Das weinrote Gebäude, in dem sich die Osteria befindet, gehört der Familie Lunelli, und die Piazza vor dem Restau- rant ist Camillas Grossvater Bruno gewidmet. Es ist offensichtlich: Lunelli ist DIE Familie in Trento. Wir treten ein, im Hintergrund läuft Jazz. Camilla winkt in die Küche und bestellt eine Flasche Ferrari Perlé Rosé. «Ich habe den Spumante aus zwei Gründen ausgewählt: Einerseits ist er sehr flexibel in der Kombination und passt gut zu diversen Speisen. Der zweite Grund ist ein sentimentaler: Der erste Rosé-Spumante des Hauses wurde von meinem Vater Mauro kreiert, das war der Jahrgang 1969. 1972 heiratete er meine Mutter und stellte den Spumante zur Hochzeit vor. Nun, ich war noch nicht dabei, aber man erzählte mir, es seien 120 Gäste und 120 Flaschen da gewesen, und am Ende des Tages waren sie alle weg – also die Flaschen.» Camilla lacht. «Übrigens, meine Eltern feierten erst kürzlich 50 Jahre glückliche Ehe.»
Zum Rosé-Spumante essen wir geschmortes Kaninchen («bitte nicht meinen Kindern erzählen!»), eine typische Delikatesse der Gegend. «Das Trentino war bis zum Zweiten Weltkrieg eine arme Region, und unsere traditionellen Gerichte sind ein Abbild davon. Coniglio, Polenta … , ein Klassiker ist auch unser ‹pané berlé›, eine Art Knödel, der aus Brotresten hergestellt wird.» Zum Kaninchen passt der rosa Spumante ausgezeichnet, seine feine Perlage steht in schönem Kontrast zu den intensiven Aromen des Schmorgerichts. Ist Rosé eigentlich Camilla Lunellis Lieblingsspumante? «Um ehrlich zu sein, bin ich eher bei Blanc de Blancs. Wenn ich einen Wein nennen sollte, den ich immer im Kühlschrank habe, für jede Gelegenheit, dann ist das unser Ferrari Perlé.»
Den obligaten Caffè nach dem Essen trinken wir bei Casa del Caffè – eine historische Rösterei, seit 1910. «Die Besitzerfamilie Torta, die ursprünglich aus Venetien stammt, kam in den 1950er Jahren nach Trento. Heute sind Luca Torta und seine Schwester Roberta in der Stadt die Anlaufstelle Nummer eins, wenn es um guten Kaffee geht», sagt Camilla Lunelli, die sich nicht mit Kaffee auskenne, aber guten Kaffee liebe. Luca steht seit 1983 hinter dem Tresen und ist ein wandelndes Kaffeelexikon, er quatscht viel und schnell und lässt es sich nicht nehmen, mit uns gleich noch eine kleine Degustation zu veranstalten. Wir kosten uns quer durch die Mischungen, Trieste, Napoli, viel Säure, weniger Säure – und zum Abschluss ein Gläschen Granita di Caffè, eine Art Kaffee-Sorbet. «Viel Zucker, starker Espresso, wenn du magst etwas Panna und ab in den Gefrierer.» Köstlich! Nebst historischen Mischungen haben sich die Tortas auf Single Origins und Crus spezialisiert, als die Familie nach Trento kam, gab es im Laden nebst Kaffee auch Gewürze, «aber nach dem Krieg sank die Nachfrage». Und auch mit dem Aufkommen des Grosshandels habe sich der Kaffeemarkt verändert, so Luca. «Aber der Grosskonsum hat Platz für Qualität gelassen. Zum Glück.»
Platz für Qualität – eine Philosophie, die man auch in der Enoteca Grado 12 findet, einem Herzensort für Camilla. Auf dem Weg zum ehemaligen Weinladen ihrer Grosseltern kommen wir an einer der charakteristischsten Ecken der Stadt vorbei. «El canton», die Ecke, wird sie im Trentiner Dialekt genannt. «Hier steht das wohl schmalste Haus der Stadt. Und hier war einst das pulsierende Zentrum, als das Etschtal und der gleichnamige Fluss noch eine wichtige Transit- und Handelsroute waren.»
Und dann stehen wir dort, wo alles begann, in der Enoteca Grado 12. «Genau hier eröffnete mein Grossvater 1929 sein Weingeschäft, wir führten es bis 2000.» Auch Camillas Grossmutter arbeitete in der Enoteca. «Wenn ich meine Nonna sehen wollte, schaute ich einfach im Laden vorbei. Und ich war als Kind oft hier, denn meine Grossmutter verkaufte Wein, aber auch eine Menge Süssigkeiten.» Camilla lacht. Ihr Grossvater vertrieb auch die Weine eines gewissen Giulio Ferrari, der 1902 als Erster in Italien Chardonnay-Trauben nach Champagner-Manier, also mit Zweitgärung in der Flasche, zu Spumante vergor. «Mein Grossvater und Giulio Ferrari waren Geschäftspartner, nun eigentlich eher Freunde. 1952 hatte mein Nonno bereits fünf Kinder, und dieses Kontinuum in der Familie war es, was Giulio Ferrari fehlte.» Uns so übergab Ferrari das Geschäft mangels eigener Nachkommen an den jungen Weinhändler aus Trento. Der Rest ist Geschichte.
«Die Enoteca sah damals nicht viel anders aus als heute. Wir hatten schöne Weine aus der ganzen Welt.» Camilla Lunelli selbst kauft nicht allzu viel Wein. «Nicht, dass ich nur Ferrari trinke, ganz und gar nicht! Aber ich bekomme von befreundeten Winzern so viele spannende Tropfen ge- schenkt ...» Ihr Mann trinke gar keinen Wein, ihr Hausverbrauch sei also überschaubar. Und wenn Freunde zum Essen kämen, erwarteten die, dass man seine eigenen Spumanti öffne. «Aber wenn mein Vater vorbeischaut oder mein Bruder oder wenn wir ein Familienessen haben mit allen Cousins, dann probieren wir immer gerne Neues!»
Auf den Plätzen der Stadt sitzen die Leute bereits beim Aperitivo. Hotspot ist die Piazza del Duomo mit der Kathedrale San Vigilio, deren Bau im 13. Jahrhundert begann und sich über die Jahrhunderte hinzog. Und genau dafür, einen Aperitivo mit Freunden, ein schönes Abendessen, kommt Camilla, die ein paar Autominuten ausserhalb wohnt, immer gerne ins Zentrum. «Ich liebe es, wenn man bis spät in den Herbst hinein draussen sitzen kann.» In der Mitte der Piazza sprudelt die Fontäne des berühmten Neptunbrunnens, doch Camilla steuert auf einen unscheinbareren Brunnen am Rande der Piazza zu. Auf dessen Spitze sitzt ein Adler aus Stein. «Der Adler war schon immer eines der Symbole von Trento; er stammt aus der Zeit, als wir Teil des österreichischen Kaiserreichs waren.» Und: Der Alder ziert auch das Etikett von Camillas nobelstem Spumante: Giulio Ferrari Riserva del Fondatore – dem Gründer gewidmet.
Auf den Plätzen der Stadt sitzen die Leute bereits beim Aperitivo. Hotspot ist die Piazza del Duomo mit der Kathedrale San Vigilio, deren Bau im 13. Jahrhundert begann und sich über die Jahrhunderte hinzog. Und genau dafür, einen Aperitivo mit Freunden, ein schönes Abendessen, kommt Camilla, die ein paar Autominuten ausserhalb wohnt, immer gerne ins Zentrum. «Ich liebe es, wenn man bis spät in den Herbst hinein draussen sitzen kann.» In der Mitte der Piazza sprudelt die Fontäne des berühmten Neptunbrunnens, doch Camilla steuert auf einen unscheinbareren Brunnen am Rande der Piazza zu. Auf dessen Spitze sitzt ein Adler aus Stein. «Der Adler war schon immer eines der Symbole von Trento; er stammt aus der Zeit, als wir Teil des österreichischen Kaiserreichs waren.» Und: Der Alder ziert auch das Etikett von Camillas nobelstem Spumante: Giulio Ferrari Riserva del Fondatore – dem Gründer gewidmet.
Eine der prachtvollsten Renaissance-Villen der Region. Wie wär’s damit? Zuerst die Schaumweinkellerei Ferrari besuchen, dann ein Abstecher in die 500-jährige Villa Margon – und zum Abschluss ins Sternerestaurant Locanda Margon: ein prickelndes Programm.
ferraritrento.com
visit@ferraritrento.it
Die grosszügige und doch leichte Küche dieses sympathischen Lokals lässt einen nach der Mahlzeit beschwingt wieder aufstehen. Die grosse Auswahl an Ferrari-Spumante hat sicher auch etwas damit zu tun.
Piazzetta Bruno Lunelli 5
osteriailcappello.it
Mit Spezialitäten wie Single-Origin-Kaffees oder Granita di Caffè machen die Geschwister Luca und Roberta Torta ihren KundInnen Herzrasen.
Via S. Pietro 38
casadelcaffetn.it
Eine der prachtvollsten Renaissance-Villen der Region. Wie wär’s damit? Zuerst die Schaumweinkellerei Ferrari besuchen, dann ein Abstecher in die 500-jährige Villa Margon – und zum Abschluss ins Sternerestaurant Locanda Margon: ein prickelndes Programm.
Largo Giosuè Carducci 12
enotecagrado12.it
Die grosszügige und doch leichte Küche dieses sympathischen Lokals lässt einen nach der Mahlzeit beschwingt wieder aufstehen. Die grosse Auswahl an Ferrari-Spumante hat sicher auch etwas damit zu tun.
Via Margone 15, Ravina
locandamargon.it
Runter zum Meer führt eine monumentale Steintreppe mit Säulengeländer. Che bellezza! «Siehst du», sagt Michele und deutet nach links, «dort oben beim Dom standen wir eben. Und das hier sind die Strände der Stadt.» Dies ist der Ort, wo ganz Ancona schwimmen geht. Als Kind sei er oft mit Freunden hier gewesen. Und heute gebe es keinen besseren Platz für einen Aperitivo. «Eine kühle Flasche Wein und gute Gesellschaft – mehr braucht es nicht. Und übrigens», fügt er an, «dies ist, glaube ich, der einzige Ort in Italien, wo die Sonne im Meer aufgeht und ins Meer wieder untertaucht.»
Bei uns hat der Tag eben erst begonnen. Möwen kreischen am Himmel, ansonsten ist noch nicht viel los hier. Doch später, im Sommer oder an den Wochenenden, sind die warmen Steinplatten am Wasser übervoll mit sonnenhungrigen Stadtbewohnern. Hinter ihnen in den nackten Fels geschlagen: die Grotten am Passetto-Strand. «Die ältesten Höhlen sind über hundert Jahre alt. Früher gehörten sie den Fischern, heute nutzen die Leute sie wie Strandkabinen.
Die Grotten sind in den letzten Jahren zu einem Luxus geworden, denn die Lage direkt am Wasser ist unschlagbar!» Die Anconetani verbringen hier den ganzen Tag, grillieren, baden, abends essen sie mit den Nachbarn, treffen Freunde, Gemeinschaftsleben all’italiana. Verschlossen sind die Steinhöhlen mit windschiefen farbigen Holztoren, mehr Verschläge als Türen, und durch die Holzlatten lässt sich da und dort ein Blick erhaschen ins Innere. Es riecht nach Keller, nach feuchtem Stein. Im Winter muss es dort drin kalt und ungemütlich sein. Doch der Winter in Ancona ist kurz – zum Glück! Michele zeigt aufs Meer. «Schau, draussen bei den Felsen fischen sie Austern.» Obwohl er als Winzer fest mit der Erde verbunden ist, das Element Wasser übt auf ihn eine grosse Faszination aus. «Wir Anconetani sind mit dem Meer aufgewachsen. Ich fahre regelmässig raus zum Angeln. Und früher bin ich leidenschaftlich und viel Wasserski gefahren. Ich war sogar mal Skilehrer!» Ja, die Adria ist so was wie die DNA der Bewohner von Ancona. Auch in kulinarischer Hinsicht.
Früher Fischerhäuschen, heute nostalgische Strandkabinen. Die Höhlen am Passeto-Strand haben eine unschlagbare Lage. Hier verbringt ganz Ancona die Sommertage.
Piazza IV Novembre, Ancona
(und dann die Treppe runter ans Meer)
Die Auslage des Chiosco di Morena liest sich wie eine Enzyklopädie der lokalen Meeresdelikatessen. Austern, Muscheln in den verschiedensten Farben und Formen, Seeschnecken, Tintenfisch und Stoccafisso – Stockfisch. «Das ist unser Streetfood!» Michele nickt dem hippen jungen Mann zu, der hinter dem Tresen auf geschätzten zwei Quadratmetern das Angebot für den Mittag vorbereitet. Das Mini-Verkaufshäuschen ist eine Institution – und einer der letzten authentischen Meeresfrüchtekioske in Ancona. «Der beste Ort für Fangfrisches oder ein Glas zum Apéro. Abends kriegst du hier kaum einen Platz!» Und was muss man unbedingt probiert haben? «Tutto!» Michele lacht. «Zu unseren Spezialitäten in Ancona gehören Muscheln von Portonovo, Meeresschnecken und Austern, die sind hier wirklich ganz frisch!»
Frischer Fisch auf die Hand: Der Meeresfrüchte- Kiosk in der Altstadt von Ancona ist eine Institution.
Corso Giuseppe Mazzini 61, Ancona
Dass es den Kiosk überhaupt noch gibt, ist den Besitzern des Delikatessengeschäfts vis-à-vis zu verdanken. Sie retteten die alternde Streetfood-Institution vor dem Aus und hauchten ihr neues Leben ein. «Das war für die Leute aus Ancona so was wie ein Dienst am Gemeinwohl.» Michele schmunzelt. Wir wechseln rüber zu Bontà delle Marche – und kommen kulinarisch vom Wasser an Land. Das Geschäft ist bis zur Decke voll mit Würsten, Schinken, Käse. Hinter der Theke wirbeln drei Jungs herum. «Gabriele Capannelli eröffnete das Geschäft 1997 mithilfe seines Vaters Dario. Wir kennen uns schon lange – auch weil sie oben in der Weinhandlung und im angeschlossenen Restaurant unsere Weine verkaufen. Und bei Bontà gibt es wirklich alles und das Beste von allem. Drei Dinge müsst ihr probieren: Ciauscolo, Pecorino di Fossa und Paccasassi.»
Ciauscolo ist eine Art Salami, aber weich und streichfähig. Pecorino di Fossa ist kein gewöhnlicher Schafskäse, sondern reift in Baumwollsäckchen tief unter der Erde, was ihm ein unglaublich intensives Aroma beschert. «Die Tradition stammt aus dem Mittelalter, als man die Essensvorräte vor Plünderungen schützen musste und in Steingruben versteckte», erklärt einer der Mitarbeiter und reicht ein Glas mit eingemachtem dunkelgrünen Gemüse, das aussieht wie flache Dörrbohnen: Paccasassi. «Das ist wilder Meeresfenchel, er wächst auf den Felsen der Conero-Küste und erinnert geschmacklich an irgendwas zwischen Algen und Kapern», erklärt Michele.
«Paccasassi sind reich an Vitamin C, weshalb sie die Seeleute früher nicht nur als Delikatesse, sondern auch als Mittel gegen Skorbut schätzten. Wir essen Paccasassi traditionell zu Burrata oder auf Pizza und Crostini.» Langsam kriegen wir Hunger.
Geschmacklich irgendwas zwischen Algen und Kapern: Paccasassi.
In diesem Delikatessengeschäft gibt’s alle Spezialitäten der Marche. Auch wenn’s nicht so aussieht: nicht nur Wurst und Schinken.
Corso Giuseppe Mazzini 96, Ancona
bontadellemarche.it
Fürs Mittagessen hat Michele einen Tisch bei Giacchetti in Portonovo reserviert. Sein Lieblingsrestaurant, direkt am Meer. Auf dem Weg zum Auto schauen wir für ein kurzes Ciao noch rasch in der Pescheria Cipolloni rein, wo Capo Claudio seelenruhig von Hand die feinen Gräten aus den Sardellen löst, die danach «sott’olio» eingemacht werden. Sisyphusarbeit, aber ganz ohne Grund gilt die Pescheria nicht als einer der besten Fischläden der Stadt. Und nicht nur uns gefällt’s hier, sondern ganz offensichtlich auch dem Hund der Kundin nach uns: Zur Begrüssung gibt’s für den Goldie ein paar frische Fischlein.
Einer der besten Fischläden der Stadt. Sardellen sott’olio werden hier vom Capo höchstpersönlich eingelegt.
Via degli Orefici 3, Ancona
Portonovo liegt 20 Autominuten ausserhalb von Ancona, eine atemberaubend schöne ruhige Bucht am Hang des Monte Conero. Die Strasse führt durch üppig grüne Vegetation, die Gegend ist seit den 1980er Jahren als Parco Naturale geschützt. «Ich hänge sehr an diesem Ort», erzählt Michele Bernetti, «ich habe viele schöne Kindheitserinnerungen und komme bis heute oft und gerne her.» Auch wegen des Ristorante da Giacchetti, direkt am Strand. Weisse Kieselsteine kontrastieren mit dem karibischen Blau der Adria, ein Traum. «Am schönsten ist es hier im Sommer am Abend. Dann nehmen sie die Sonnenschirme rein und stellen die Restauranttische nach draussen an den Strand. Die Stimmung bei Kerzenlicht ist fantastisch ...»
Fantastisch sind auch die Speisen, die Edoardo, dritte Giacchetti-Generation, auftischt. Gegründet wurde das Restaurant 1959 von den beiden Brüdern und Fischern Aroldo und Dario Giacchetti. Als Primo gibt’s marinierte Sardellen mit Paccasassi (kennen wir schon aus dem Delikatessengeschäft) und die berühmten Moscioli aus Portonovo. «Das sind Miesmuscheln, die in den Felsenspalten des Monte Conero wachsen, etwa auf Höhe Meeresspiegel und somit immer sanft umspült vom Salzwasser. » Moscioli sind die grosse Spezialität der Region und im Gegensatz zu Cozze werden sie gefischt und nicht gezüchtet. Die Saison dauert von April bis Oktober, «dann ist das Muschelfischen unser aller liebste Freizeitbeschäftigung!» Micheles Augen leuchten. Zum Essen trinken wir Vecchie Vigne, Umani Ronchis Verdicchio-Cru aus alten Reben, im Stahltank gereift und x- fach ausgezeichnet. Gambero Rosso kürte den 2009er sogar als «Vino Bianco Italiano dell’Anno» – nur weiss das ausserhalb von Italien kaum einer. Vecchie Vigne ist feingliedrig, mineralisch, sehr präsent, mit toller Länge und fast schon salzigem Abgang. «Mein Herzensprojekt, wir arbeiten mit 60 Jahre alten Reben. Der Wein ist zu einem unserer wichtigsten Vorzeigeweine geworden.»
Zu Pasta und Fritto misto (so delikat, wir würden dafür um die Welt gehen!) gibt’s ebenfalls Verdicchio, diesmal aber in der Variante mit etwas Holzeinfluss: Plenio. Der Wein ist füllig und gleichzeitig herrlich frisch, und auch hier grüsst die Adria mit einer feinen Salznote. «Der Name leitet sich vom lateinischen Plenum ab, ein Hinweis auf die Komplexität und Struktur unserer Riserva.» Der Wein reift zur Hälfte in grossen Holzfässern. «Wir haben über die letzten Jahre den Holzanteil stark reduziert und verwenden heute Eiche mit einer akzentuierten Röstung, aber weniger süss.» Burgunderfan Michele Bernetti sucht im Wein vor allem eines: Eleganz. Und das ist ihm ganz offensichtlich gelungen, finden nicht nur wir: Der Gambero Rosso krönte Plenio 2020 mit der Höchstnote von drei Gläsern!
Zu Pasta und Fritto misto (so delikat, wir würden dafür um die Welt gehen!) gibt’s ebenfalls Verdicchio, diesmal aber in der Variante mit etwas Holzeinfluss: Plenio. Der Wein ist füllig und gleichzeitig herrlich frisch, und auch hier grüsst die Adria mit einer feinen Salznote. «Der Name leitet sich vom lateinischen Plenum ab, ein Hinweis auf die Komplexität und Struktur unserer Riserva.» Der Wein reift zur Hälfte in grossen Holzfässern. «Wir haben über die letzten Jahre den Holzanteil stark reduziert und verwenden heute Eiche mit einer akzentuierten Röstung, aber weniger süss.» Burgunderfan Michele Bernetti sucht im Wein vor allem eines: Eleganz. Und das ist ihm ganz offensichtlich gelungen, finden nicht nur wir: Der Gambero Rosso krönte Plenio 2020 mit der Höchstnote von drei Gläsern!
Michele Bernettis Lieblingsrestaurant direkt am Meer. Hier gibt's die berühmten Moscioli aus Portonovo.
Località Portonovo 171, Ancona
ristorantedagiacchetti.it
Und weil Italien nicht Italien wäre, wenn sich nicht alles ums Essen drehen würde, sind wir – nach einer kurzen Verdauungspause – zum Abendessen in Umani Ronchis Weinbistro verabredet. WineNot? heisst das Lokal am Hafen von Ancona, und oben im historischen Palazzo warten im familieneigenen Grand Hotel Palace 39 Boutique-Zimmer auf müde Gäste. «Das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert, das Hotel ist seit 1868 in Betrieb. Wir haben es komplett renoviert und 2017 neu eröffnet.» Küchenchef Leonardo Castaldi hat sich – damit die Gäste möglichst viele Speisen-Wein-Kombinationen probieren können – Fingerfood auf Gourmet-Level verschrieben. Oder Shottini, wie die Anconitani ihre Häppchen nennen. Einer der Klassiker, im WineNot? und in den Marken überhaupt, sind Olive Ascolane: mit Fleisch gefüllte grüne Oliven, paniert und frittiert. Köstlich! Ebenfalls typisch Marken sind Raguse in porchetta, Meeresschnecken. «Eine traditionelle Spezialität der Provinz Ancona und vor allem der Riviera del Conero. Der Name ‹in porchetta› kommt daher, weil wir in der Sauce wilden Fenchel verwenden, der klassischerweise auch Spanferkel oder eben ‹porchetta› den typischen Geschmack gibt», erklärt Küchenchef
Leonardo. Und was trinkt man zu den Raguse, Michele Bernetti? «Ich mag dazu unseren Montepulciano-Cru Cúmaro.» Die Trauben für die dunkelfruchtige Riserva wachsen in Bernettis besten Rosso-del-Conero-Lagen in Meeresnähe. Der Wein ist üppig und weich, reife Pflaume trifft auf Sauerkirsche, Tabak auf schwarzen Pfeffer. Benannt ist der sortenreine Montepulciano nach dem Erdbeerbaum, der typisch ist für die Wälder des Monte Conero. Die feuerroten Früchte des Baums sind essbar und haben es als stilisierte rote Punkte aufs Cúmaro- Etikett geschafft. Der Name des Weins stammt übrigens aus dem Griechischen: komaros. Nun, da wären sie wieder, die Griechen ...
Grand Hotel und Weinbar der Winzerfamilie Bernetti. Nach dem letzten Schluck kann man direkt ins Bett fallen.
Lungomare Luigi Vanvitelli 24, Ancona grandhotelpalaceancona.com
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